Unsere Stadt

Der Höhenluftkurort Lindenberg ist mit Schulen, Gewerbe und Industrie der Zentralort im bayerischen Westallgäu. Die Stadt mit über 11.000 Einwohnern liegt auf 750 bis 820 Meter Seehöhe. Im Jahr 857 als Ort „Lintiberc“ erstmals erwähnt, erhält Lindenberg 1784 durch Kai­ser Joseph II. von Habsburg die Marktrechte und seither findet hier jährlich im Spätherbst der <Simon und Juda Markt> statt. „Mit Napoleons Gnaden“ kommt Lindenberg im Jahr 1805 zu Bayern. Zuvor gehörte es über 200 Jahre zu Vorarlberg beim Oberamt Bregenz.

Das moderne Lindenberg mit einem Großteil seiner heutigen Infrastruktur hat sich seit Anfang der 1960er Jahre entwickelt. Das industriebedingte „Straßendorf“ entlang der Talmulde (Hauptstraße) entwickelte sich in die Breite und die Stadtbesiedelung bedeckt jetzt den ge­samten Höhenbereich. Seit 2014 hat der frühere städtische „Pol“, um Rathaus und Stadtpfarr­kirche, mit der Sanierung der Industriebrache „Reich“ und dem dort geschaffenen <Deutschen Hutmuseum>, einen „Gegenpol“ als Frequenzbringer erhalten, sodass sich zwischen diesen beiden Polen das Spannungsfeld einer bislang fehlenden städtischen „Mitte“ zwischen gefühl­ter „Unterstadt“ und „Oberstadt“ entwickeln kann, und sich auch so entwickelt.

Der Aufstieg Lindenbergs vom abgelegenen Dorf zur Stadt beginnt mit dem Pferdehandel nach Italien im 17. Jahrhundert. Darüber kam auch die italienische Art des Strohhutmachens nach Lindenberg. Während der langen Wintermonate entwickelte sich damit als Saisonbe­trieb eine einträgliche Hausindustrie und ein florierender Huthandel. Die Gründung zahlrei­cher Stroh-Hutfabriken gegen Ende des 19. Jahrhunderts macht Lindenberg dann zur „Boom Town“ mit einem enormen Bevölkerungszuwachs. Dies führt zur Stadterhebung im Jahr 1914. Zwei Jahre zuvor, im Jahr 1912, hat die Hutproduktion mit 5,8 Millionen Herrenstroh­hüten einen absoluten Höhepunkt erreicht.

Im Schicksalsjahr 1914 beginnt am 2. August die Bayerische Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg, die Friedenszeit ist jetzt vorbei. Zehn Tage später am 12. August kommt per Tele­gramm aus München der Glückwunsch, dass Lindenberg zur Stadt erhoben ist: Eine Feier findet aber wegen des Kriegsbeginns nicht statt; eine Urkunde gibt’s auch nicht, nur die Ent­schließung des Ministeriums des Innern Nr. 11 441/1914 und ein Grundbuchakt des ehema­ligen Landgerichts Weiler, Bd. I, Erlass Nr. 3011/a/5 vom 11.8.1914 machen die neue Stadt verwaltungsamtlich.

Gerade noch in Friedenszeit, am 14. Mai 1914, war mit einem großen Fest stolz die neue Pfarrkirche eingeweiht worden, die mit 1.200 Sitzplätzen und ihrer wuchtigen Größe gern der „Dom des Westallgäus“ genannt wird. 

Während des Ersten Weltkriegs litt die Bevölkerung große Not sowohl in der Ernährung als auch kriegerisch mit dem Verlust vieler Söhne und junger Väter an der Front: 172 Namenstehen in Erinnerung an diese Zeit auf dem Kriegs-Denkmal an der Aureliuskirche. Auch die Hutindustrie konnte nur eingeschränkt arbeiteten. Von 25 Hutfabriken vorher, haben 8 Hutfabriken nach dem Krieg ihre Arbeit nicht wiederaufgenommen. Andererseits machte ab 1917 die Kunstdruckerei <J. Adolf Schwarz>, mit ihren kriegsbedingten Not­geld­drucken für viele Städte und Gemeinden, Lindenberg als „Geldstadt“ Deutschlandweit be­kannt: Von (u.a.) Oberammergau bis Helgoland und von Koblenz am Rhein bis Trebnitz in Schle­sien, hat das jeweils individuell gestaltete Notgeld aus der Lindenberger Druckerei bis heute Sammlerwert.

„Eine Revolution findet in Lindenberg nicht statt!“ Dies war offensichtlich das Motto des cha­rismatischen, ersten rechtskundigen Lindenberger Bürgermeisters Hans Alois Schmitt: Nach­dem am 8. November 1918 in München die Revolution ausgebrochen war, indem Kurt Eisner den <Freistaat Bayern> ausgerufen hat, und König Ludwig III. ins Exil ging, versammelten sich auf Einladung Schmitts am 12.11. um 9:30 zunächst die Vertreter der wichtigsten Hutfirmen im Rathaus. Dabei wurde einstimmig beschlossen, in der Lindenberger Hutindustrie ab sofort bei gleichem Gesamtlohn vom Zehnstundentag zum Achtstundentag überzugehen. Um 11 Uhr kommen die Vertrauensmänner der Arbeiterschaft zum Treffen dazu: sie erkennen „rückhaltlos“ an, dass mit diesem Beschluss die Hauptforderung der Arbeiter erfüllt ist. Abends 20 Uhr, im gedrängt vollen Löwensaal wird dann ein <Arbeiter-, Soldaten- und Bau­ernrat> ins Leben gerufen: Bürgermeister Schmitt wird per Akklamation einstimmig zu des­sen Vorsitzenden gewählt und der Arbeitervertreter Karl Asfalg, ebenfalls per Akklamation wird einstimmig stellvertretender Vorsitzender.

Damit ist in Lindenberg an einem Tag alles geklärt; und durch das kongeniale Zusammenspiel von Schmitt und Asfalg läuft in Lindenberg dann alles in geordneten Bahnen.

In der Weimarer Republik ist der gebürtige Lindenberger Prof. Anton Fehr, durchgehend von 1920 bis 1933 Reichstagsabgeordneter der Partei <Bayerischer Bauernbund> und von März bis November 1922 auch Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, sowie von 1924 bis 1930 Bayerischer Staatsminister für Landwirtschaft in München. Ihren Wohnsitz in Lin­denberg hatten seit 1918 auch der Reichswehrminister Dr. Otto Geßler, und seit 1926 der Reichsarbeitsminister Dr. Heinrich Brauns. Alle drei sind hier auf dem Alten Friedhof bestat­tet. Alle drei haben sich um Lindenberg verdient gemacht und es gibt in Lindenberg eine <Anton-Fehr-Straße>, einen <Dr.-Otto-Geßler-Platz> (Adresse der Rotkreuzklinik) und eine Heinrich-Brauns-Straße.

Im „Dritten Reich“ wird Lindenberg, wie nach Drehbuch, bereits ab 4. August 1933 vom NS-Bürgermeister Hans Vogel nach dem Führerprinzip gelenkt, und nach dem damaligen Perso­nenkult werden 1937 die heutige Hirschstraße-Brennterwinkel in „Hans-Vogel-Straße“ und „Hans-Vogel-Platz“ umbenannt. Aufgrund des <Heimtückegesetzes> von 1934 kommt der Sozialdemokrat Josef Bentele Anfang September 1936 für 15 Monate ins KZ Dachau und die Bankiersgattin Franziska Weber kommt Ende November 1939 für über 2 Jahre ins Frauen-KZ Ravensbrück; im Januar 1944 wird der 77 Jahre alte Jakob Plaut aufgrund seiner jüdischen Abstammung ins KZ Theresienstadt deportiert. Er lebt danach bis zu seinem Tod 1955 wieder in Lindenberg.

Hans Vogel wurde am 31. März1945 zum Ehrenbürger der Stadt Lindenberg ernannt, vier Wochen später, am 1. Mai, kurz vor der Bedingungslosen Kapitulation des Großdeutschen Reiches am 7. Mai, wird er auf der Flucht erschossen. Am 6. Juni 1946 entzieht ihm der, von der Besatzungsmacht eingesetzte, Verwaltungsrat der Stadt posthum die Ehrenbürgerschaft.

Nach 1945 französisch besetzt, profitiert Lindenberg auch von seiner Zugehörigkeit zum Landkreis Lindau mit dessen politischer Sonderrolle als de-facto Bundesland; dies galt bis zur „Wiedervereinigung“ mit Bayern im Jahr 1955.

In der Zeit des Wirtschaftswunders nach 1948 wird Lindenberg, neben seiner Rolle als Zent­rum der deutschen Hutindustrie, auch durch seine Käseindustrie (Velveta) international be­kannt. Das High-Technology Unternehmen Liebherr Aerospace, das in Lindenberg 1959 seinen Anfang nahm, ist heute der Hauptarbeitgeber für die Stadt und für die Region. An die Ge­schichte als Hut- und Käsestadt erinnert jährlich der Huttag mit der Deutschen Hutkönigin so­wie das Internationale Käse- und Gourmetfest.

Bundesweit bekannt wurde Lindenberg auch durch die Stiftung Hilfswerk Berlin zusammen mit der Deutschen Fernsehlotterie. Eingeworbene Lotteriemittel unter dem Slogan „Ein Platz an der Sonne“ ermöglichten 1960 die Eröffnung des ersten Berliner Familien-Feriendorfs in der BRD, rund um den Aussichtsturm auf dem Nadenberg. Daraus entwickelte sich bis zur deutschen Wiedervereinigung eine jahrzehntelange, inoffizielle Städtepartnerschaft mit (West-) Berlin. Heute bestehen Städtepartnerschaften mit Vallauris (Frankreich, Cote d‘Azur) und Saline (USA, Michigan).

An die ehemalige „Kaminstadt“ mit bis zu 10 rauchenden Fabrikschloten als Zeichen für einen industriell geprägten Lebensraum, erinnern heute nur noch 1½ Sicht-Exemplare dieser hohen Schornsteine. Der „halbe“ Schornstein gehört zum denkmalgeschützten Fabrikationsgebäude der ehemaligen Hutfabrik <Ottmar Reich>, die einst zu den weltproduktivsten Hutfabriken ge­hörte; heute befindet sich dort, am Museumsplatz 1, die <Kulturfabrik> mit dem Deutschen Hutmuseum.

Als im Jahr 2014 Lindenberg das 100jährige Stadtjubiläum feiern konnte, war dies gleichzeitig die Erinnerung daran, dass Lindenberg eine „junge“ Stadt ist, mit einer weitum singulären Entwicklung:  Alle Städte im weiteren Umkreis erhielten als ehemalige Reichsstädte ihr Stadt­recht bereits im 13. Jahrhundert. In allernächster Nähe zählen dazu Lindau, Wangen, Isny und auch Bregenz, die alte Römerstadt „Brigantium“.
Seit 1993 hat Lindenberg den Status eines <Mittelzentrums> mit der vergleichsweise hohen Bevölkerungsdichte 921 Einwohner/Quadratkilometer (Lindau: 749) und einer Ein-/Auspend­lerquote 1,7 von Menschen, die in Lindenberg arbeiten und außerhalb wohnen, beziehungs­weise umgekehrt.   


Text: Georg Grübel